In seinem Buch „Bin ich denn der einzige Normale hier“ (Redline, 19,90 Euro, bestellbar z.B. über www.amazon.de) präsentiert der Psychologe Albert J. Bernstein 101 Lösungen, wie man mit vertrackten Situationen im Büro klar kommt.
fem.com präsentiert zehn dieser Lösungen in der neuen Serie „Büro-Wahnsinn“.
Teil 6: Kontrollfreaks
DAS SZENARIO
Gwen ist Ihre Vorgesetzte und ein Kontrollfreak, der jedem erzählt, was er tun und lassen soll, und bis ins Detail erklärt, wie man es tun oder lassen soll – oder nicht tun oder lassen soll. Kein noch so winziges Detail entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Sie verbessert die Grammatik und Rechtschreibung in Ihren E-Mails. Sie kann sich nicht entscheiden, und wenn sie Ihnen eine Aufgabe anvertraut, ändert sie ständig die Vorgaben. Jeder noch so kleine Fehler hat ein Memo zur Folge, in dem die Arbeitsabläufe der gesamten Abteilung über den Haufen geworfen werden. Die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Weshalb ist Gwen dermaßen von Kontrolle besessen? Glaubt sie wirklich, dass sie als Einzige auf diesem Planeten ein Gehirn hat? Warum besteht sie darauf, dass alles nach ihren Regeln laufen muss, auch wenn Sie ihr aufzeigen können, dass Ihre Herangehensweise genauso effektiv ist – oder sogar noch effektiver?
Bevor Sie sich allzu sehr aufregen, halten Sie inne und bedenken: Weshalb könnte jemand einen solch überwältigenden Kontrollzwang haben? Die Antwort auf diese und viele weitere Fragen, die sich Ihnen über unmögliche und in den Wahnsinn treibende Verhaltensweisen im Arbeitsleben stellen, lautet ganz einfach: Angst. Verängstigte Menschen entwickeln verstörende Verhaltensweisen, welche sie in einem sicheren Abstand von dem halten, wovor sie Angst haben. Was sie alles unternehmen, um sich zu schützen, richtet fast immer größeren Schaden an als die Quelle ihrer Angst.
Weil verängstigte Führungskräfte wie Gwen immer stärker kontrollieren, sinkt die Leistung ihrer Arbeitsgruppe. Die Leute werden aus Furcht vor Gwens Kritik übervorsichtig, also machen sie mehr Fehler. Hinzu kommt die passiv-aggressive Gegenwehr von Menschen, die es nicht so gerne haben, wenn man ihnen ständig sagt, was sie zu tun haben. Die schlechteren Ergebnisse, woher auch immer sie rühren mögen, verstärken Gwens Kontrollzwang und die Leistungen werden noch schlechter.
DIE LÖSUNG
Das Geheimnis eines zielführenden Umgangs mit Mikromanagern, die einen Kontrollzwang haben, liegt darin, deren Angst zu durchschauen und nicht auf die eigene Wut zu achten. Wenn Sie erreichen wollen, dass sie weniger kontrollieren, müssen Sie sie beruhigen und nicht noch weiter aufregen. Dies sind Ihre Möglichkeiten:
Nicht das böse Wort Kontrollfreak aussprechen.
Sich aufregen und Kontrollfreaks sagen, was Sie von ihnen halten, ob lauthals oder in der Privatsphäre Ihres Kopfes, macht die Angelegenheit nur noch schlimmer. Kontrollfreaks achten auf winzige Details. Ihre Einstellung dient als Beweis dafür, dass man Sie nur noch genauer unter Beobachtung halten sollte. Selbst wenn Sie das Thema auf möglichst einfühlsame Art angehen: Ein Gespräch über Kontrolle ist ein Bumerang.
Kontrollfreaks, selbst solche, die über ihre Eigenarten lachen können, glauben nie, dass sie zu viel Kontrolle ausüben. Sie schützen nur eine undankbare Welt vor den Fehlern, die sich unweigerlich einstellen, wenn man nicht gut aufpasst. Versuchen Sie erst gar nicht ihnen das auszureden. Selbst altgedienten Therapeuten fällt es keineswegs leicht, einen Kontrollfreak davon zu überzeugen, dass sein Verhalten mehr Probleme schafft als löst.
Beschwichtigen statt beschuldigen.
Nehmen Sie sich vor einem neuen Projekt die Zeit und machen Sie sich ein klares und eindeutiges Bild davon, was Ihre Mikromanagerin wann und wie von Ihnen will. Schreiben Sie alles wortwörtlich mit. Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist ganz einfach: Beschwichtigung. Wenn Sie den Eindruck vermitteln, dass Sie Gwen ernst nehmen, macht sie sich weniger Sorgen, dass Sie Fehler machen könnten.
Kontrollfreaks halten gern Vorträge. In einem solchen Fall hören Sie aufmerksam zu.
So nervtötend diese Vorträge sein mögen, so unumgänglich sind sie auch. Am Anfang eines Projekts richten sie weitaus weniger Schaden an als später, wenn sie der Meinung ist, Sie hätten einen Fehler gemacht. Der zweite Grund, diesem einleitenden Vortrag offenen Ohres zu lauschen, liegt darin, dass Sie eindeutige Maßgaben zum benötigten Endprodukt mitnehmen. Jede Aufgabe hat ein Produkt zur Folge, welches sowohl das ist, was getan werden muss, als auch einen Prozess, also die tatsächlichen Schritte, die zum Endprodukt führen. Direkt am Anfang handeln Sie ein klar definiertes, messbares Produkt aus, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt fertig gestellt sein muss. Dies wird sich später als entscheidend erweisen, sobald Gwen versucht, den gesamten Ablauf zu kontrollieren.
Erstatten Sie Bericht, bevor darum gebeten wird.
Nichts besänftigt die Ängste eines Kontrollfreaks besser als ein Übermaß an Informationen. Versichern Sie Gwen, dass Sie das Projekt genauso ernst nehmen wie sie.
Fragen Sie, ob sich das Endprodukt geändert hat, falls Ihr Chef versucht, die Abläufe zu kontrollieren.
Jetzt erweisen sich Ihre anfänglichen Notizen als nützlich. Behandeln Sie Versuche, die Abläufe zu kontrollieren, als Auftrag, das Endprodukt zu verändern, denn dies – und da wird Ihnen jeder Geschäftsmann zustimmen – setzt alles zurück auf Anfang. Weshalb sollte man die Abläufe verändern, wenn das Endprodukt nicht betroffen ist? Unnötig zu erwähnen, dass Sie, wenn eine solche Vorgehensweise Erfolg haben soll, dafür bekannt sein müssen, dass sie liefern.
Liefern Sie weiter.
Wenn Sie diese Vorgehensweise ein paar Mal angewandt haben und tatsächlich halten, was Sie versprechen, wird Ihr Chef sich weniger Sorgen über Ihr Leistungsvermögen machen und jemanden mit weniger Verantwortungsgefühl mikromanagen.