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Teil 5: Nörgler und Jammerer
DAS SZENARIO
Der Tag hatte wirklich produktiv begonnen. Sie machen eine kurze Pause und holen sich einen Kaffee. Auf dem Weg zur Kaffeemaschine treffen Sie Becky, die sich fürchterlich über eine weitere Unverschämtheit von Roger und Chris aus dem Verkauf aufregt. Wissen Sie eigentlich schon, was die alles als Spesen abrechnen dürfen? Becky weiß es, und es ist ungeheuerlich.
Sie haben für die Typen vom Verkauf eigentlich nichts übrig und wie Sie so zuhören, werden Sie fast genauso wütend wie Becky. Jetzt muss aber wirklich mal jemand etwas dagegen unternehmen!
Während Sie Ihren Kaffee einschütten, hält Carol Ihnen mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck ihre Kaffeetasse unter die Nase. Beide Handgelenke sind wegen ihrer chronischen Sehnenscheidenentzündung bandagiert. Eigentlich wollten Sie ihr gleich eine E-Mail wegen der Zahlen schicken, die sie für einen Bericht zusammenstellen sollte. Jetzt hat Sie Ihnen schon weitaus mehr über ihre Schmerzen und ihr Taubheitsgefühl erzählt, als Sie wissen wollten, und Sie fühlen sich schuldig, weil Sie überhaupt
an die Zahlen gedacht haben. Sie schlurfen an Ihren Platz zurück und fühlen sich ausgelaugt. Wo ist die ganze Energie des Morgens geblieben?
In jedem Unternehmen gibt es einen Anteil von negativen Menschen – Nörgler wie Becky, die sich permanent über etwas aufregen, das andere Leute getan haben, und Jammerer wie Carol, bei denen immer irgendetwas schiefläuft, für gewöhnlich genug, um sie von der Arbeit abzuhalten. Negative Menschen haben eine ganz bestimmte emotionale Wirkung auf ihre Umgebung. Sie können uns aufregen und zu einer Neubewertung von Menschen und Abläufen verleiten. Wir ändern die Regeln für sie. Ihre Probleme saugen uns auf, laugen uns aus und lassen uns ermattet zurück. Wir hören nur zu, und schon stecken wir ganz automatisch in diesem Dilemma.
DIE LÖSUNG
Wenn wir hören, dass jemand Probleme hat, sind wir darauf programmiert, auf eine ganz bestimmte Art zu reagieren. Zumindest hören wir zu, und oftmals fühlen wir uns verpflichtet zu helfen. Diese automatische Reaktion ist die Waffe der Nörgler und Jammerer. Um sich vor ihnen zu schützen, muss man seinen Autopiloten ausschalten und das erwartete Muster durchbrechen. Hier einige Vorschläge:
Nörgler kreativ ignorieren.
Nörgler ergötzen sich daran, über die Missetaten anderer Menschen zu berichten. Es geht ihnen darum, dass Sie zustimmen und sich mit ihnen, in welchem Kampf auch immer, verbünden. Sobald Sie auch nur den kleinsten Funken von Ärger gegen den gegenwärtigen Feind des Nörglers zeigen, werden Sie ihn sehr zu seiner Freude in ein loderndes Feuer der Wut verwandeln. Falls Sie auch nur einen Funken Zustimmung signalisieren, ist Ihr Name auf der Liste der Empörten, wenn er den Nächstbesten mit einer weiteren Tirade belästigt. Wenn Sie mitmachen, haben Sie schon verloren. Stattdessen müssen Sie kreativ ignorieren. Selbst wenn Sie von einer schreienden Menschenmenge umgeben sind, die jemandes Kopf fordert, bleiben Sie einfach nur sitzen. Diese Reaktion ist viel weiser, als automatisch zu tun, was alle erwarten.
Beantworten Sie Negatives mit Positivem.
Nörgler rechnen mit Zustimmung, selbst wenn man nur ruhig zuhört. Wenn Sie Nörgler höflich zur Ruhe bringen wollen, müssen Sie deren automatische Reaktionen aktivieren. Jedes Mal, wenn der Nörgler etwas Negatives sagt, antworten Sie mit etwas Positivem. Selbst eine ganz kleine positive Bemerkung funktioniert. Becky beschwert sich also über die Typen vom Verkauf, und Sie geben zur Antwort, dass die ganz schön was umsetzen. Dieses Verhaltensmuster zeigt nach ein paar Wiederholungen Wirkung, und Becky sucht sich eine ihr gefälligere Zuhörerschaft.
Keinesfalls für Jammerer die Regeln ändern.
Manche Menschen sind nie ganz auf der Höhe. Sie sprechen die ganze Zeit davon, wie schlecht es ihnen geht und verlassen sich auf die soziale Konvention, dass man Kranken nicht ganz so viel abverlangt. Solange es selten vorkommt, ist das auch angebracht, aber im Fall von Carol scheint sich das Muster jede Woche zu wiederholen. Sie bittet nie direkt darum, etwas nicht erledigen zu müssen, weil Sie dann eine Wahl hätten. Stattdessen erzählt sie Ihnen nur, wie schlecht es ihr geht und verlässt sich auf Ihr Schuldgefühl. Schuldgefühle hin oder her, lassen Sie Carol betteln. Schon Winston Churchill hat gesagt: „Ein Großteil der Arbeit auf dieser Erde wird von Menschen erledigt, die sich nicht wohl fühlen.“ Solange Carol nicht absolut deutlich macht, dass sie etwas nicht tun kann, gehen Sie davon aus: Yes, she can. Falls sie ein gewisses Entgegenkommen erwartet, muss sie nicht nur genau angeben, in welcher Form, sondern auch für wie lange. Jammerer wissen aus Erfahrung, dass ihnen viel mehr Nachsicht entgegenbracht wird, wenn sie die automatische Reaktion in ihrem Gegenüber auslösen.
Fragen Sie: „Was wirst du dagegen unternehmen?“
Sowohl Nörgler als auch Jammerer erwarten, dass Sie sich deren Probleme zu eigen machen. Indem Sie fragen, was sie zu tun beabsichtigen, nehmen Sie ihnen den Wind aus den Segeln. Sollte die Antwort, „Ich weiß es nicht“ lauten, so schütteln Sie nur den Kopf und sagen: „Ich auch nicht.“