Es ist Januar. Grau, kalt und nass. Ich friere und meine Nase läuft. Wie eigentlich immer zu dieser Jahreszeit hat er mich der Winterblues voll im Griff. Das einzige Mittel gegen mein temporäres Stimmungstief sind Sonnenstrahlen auf meiner Haut, für die Vitamin D mittlerweile ein Fremdwort ist. Und da sich die Sonne während der Wintermonate eigentlich in ganz Europa mehr oder weniger rar macht, kann meiner Winter-Depression nur eine Fernreise auf die Südhalbkugel Abhilfe verschaffen. Das Besondere: Dieses Jahr habe ich meinen eineinhalbjährigen Sohn im Gepäck. Geplant ist eine Rundreise durch den Südosten Sri Lankas. Leider ohne meinen Mann, dafür aber gemeinsam mit (kinderlosen) Freunden.
Wenn die Reiseplanung zur Doktorarbeit wird
In der Vergangenheit habe ich meist bewusst auf eine detaillierte Reiseplanung verzichtet, um mich im Reiseland ganz ungezwungen von einem Ort zum nächsten treiben zu lassen. Doch die tiefenentspannte Single-Carmen, die vollkommen sorglos durch die Weltgeschichte tingelt, wurde jüngst durch die Mutter-Carmen abgelöst, deren Reisevorbereitungen beinahe den Umfang einer Doktorarbeit annehmen. Allein die Auswahl des Reiseziels und dessen Prüfung auf seine „Baby-Tauglichkeit“ hat mich unzählige Stunden Internetrecherche, ein Telefonat mit dem Kinderarzt und ein paar Euro für eine schriftliche Reiseempfehlung des Tropeninstituts gekostet.
Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können, mit welcher Intensität man sich der Vorbereitung eines zweiwöchigen Urlaubs widmen kann bzw. welchen Fragenstellungen man sich als halbwegs verantwortungsbewusste Mutter widmen muss: Wie lässt sich ein Langstreckenflug mit Baby bewältigen? Wie ist die medizinische Versorgung vor Ort? Wie gefährlich ist Dengue-Fieber für Kleinkinder? Welche Mückenschutzmittel sind für Kinder unter zwei Jahren zugelassen? Gibt es vor Ort Autositze für Kleinkinder auszuleihen bzw. standardmäßig Dreipunktgurte, um einen mitgebrachten Sitz zu fixieren? Sind Babybetten in den Unterkünften und Hochstühle in den Restaurants vorhanden? Wie gut ist der Zugang zu Baby-Nahrung und -Hygieneartikeln? Und schließlich die Frage aller Fragen: Wie soll nur der Wechselstrampler vom Wechselstrampler, das XXL Mosquito-Netz, die Babytrage, das Lieblings-Kuscheltier, die mehr als sorgfältig zusammengestellte und entsprechend umfangreiche Reiseapotheke sowie die 20 Frucht-Quetschies Proviant in meine Reisetasche passen?
Fernreise nach Asien oder doch lieber mit dem SUV an die Adria?
Eine Millisekunde habe ich mich gefragt, warum ich nicht einfach, wie viele andere Münchener Familien mit kleinen Kindern, auf den Sommer warte, um dann mit unserem komfortablen SUV über die Brennerautobahn an die Adria oder den guten, alten Gardasee zu cruisen? Ist doch auch nett dort. Aber eben nur nett, und bis zum Sommer ist es noch viel zu lange. Außerdem war ich schon immer ein Abenteurer, der seinem Kind die Welt zeigen und ihm das Reisen als eine Selbstverständlichkeit in die Wiege legen wollte. So kann ich es kaum erwarten die strahlenden Augen meines Sohnes zu sehen, wenn wir gemeinsam am Strand spielen und im Wasser plantschen.
Trotzdem haben mich die sorgenvollen Mienen der Großeltern (die sich bei ihrem letzten Besuch von ihrem Enkel verabschiedeten, als ob sie ihn nie wieder zu Gesicht bekommen würden), das Unverständnis anderer Eltern („In Europa gibt es doch so schöne Reiseziele, warum tust du dir und deinem Sohn eine Fernreise an?“) und die beiläufigen Kommentare kinderloser Freunde („Du traust Dich aber“), dann doch zum Nachdenken angeregt.
Mit Baby in ein Dritte-Welt-Land: Bin ich zu leichtsinnig?
Im Gegensatz zu meinen früheren Reisen bin ich dieses Mal nicht nur für mich, sondern auch für meinen Sohn verantwortlich. Alle Entscheidungen, die ich vor und während der Reise treffe, haben plötzlich eine ganz andere Tragweite. Sollte etwas Unerwartetes passieren, dann betrifft das im Zweifel nicht nur meine Gesundheit, sondern im schlimmsten Fall auch die eines kleinen Kindes. Hinzukommt, dass ich vor Ort insofern auf mich allein gestellt sein werde und ich mich in einer Ausnahmesituation nicht mit meinem Mann beraten kann. Normalerweise entscheiden wir gemeinsam als Team, dieses Mal muss ich die alleinige Verantwortung für unseren Sohn übernehmen. So habe ich mich nach bestem Wissen und Gewissen auf diese Reise vorbereitet. Ich habe mich über die klimatischen, infrastrukturellen, gesellschaftlichen und politischen Bedingungen im Reiseland informiert und fühle mich eigentlich sicher.
Ein Leben in Sorge oder ein gelebtes Leben?
Trotzdem sind gewisse Situationen nicht vorhersehbar und es wäre naiv zu glauben alle potentiellen Risiken absehen zu können. Da hilft nur ein gewisses Grundvertrauen ins Leben um sich nicht verrückt zu machen. Und sind wir mal ehrlich: Gibt es etwas Schlimmeres, als sich aus lauter Angst vor dem Unbekannten den Zauber der Gegenwart rauben zu lassen? Plötzlich feiert der Eineinhalbjährige seinen 16. Geburtstag und hat keinen Bock mehr mit seiner Mama zu verreisen. Auf einmal will man nichts lieber als die Zeit zurückdrehen, um rückwirkend all die Chancen zu ergreifen, die man aus Sorge oder gar aus Bequemlichkeit verpasst hat.
Was ich sagen will: Vor unserem Schicksal sind wir sowieso nirgends sicher – weder auf Sri Lanka noch am Gardasee. Noch nicht mal in unseren eigenen vier Wänden. Und im schlimmsten Fall verunglücken wir beim Fensterputzen, während das Schicksal heimlich in der Ecke sitzt und sich ins Fäustchen lacht.